Tabak und Nikotin - Basics
„Harm Reduction“: Eine Marketingstrategie der Tabak- und Nikotinindustrie
Die Hersteller von E-Zigaretten bewerben ihre Produkte damit, dass sie zu einer „Harm Reduction“, einer Schadensminderung bei bislang Tabakrauchenden beitrügen. Der Begriff stammt ursprünglich aus dem Bereich der Drogenpolitik. Der Ansatz wurde entwickelt, um die gesundheitlichen und sozialen Schäden, die mit einem langjährigen Konsum illegaler Drogen verbunden sind, zu reduzieren, ohne zwingend den Konsum selbst zu eliminieren.
Die Tabakindustrie propagiert nun unter diesem Konzept einen Umstieg von herkömmlichen Tabakzigaretten auf E-Zigaretten oder vergleichbare Alternativen. Die Botschaft dahinter: E-Zigaretten und Tabakerhitzer seien weit weniger schädlich als herkömmliche Zigaretten, würden Tabakrauchenden den Ausstieg erleichtern und somit einen Beitrag zur Reduktion der negativen gesundheitlichen Auswirkungen des Rauchens leisten.
Begründet wird diese These damit, dass im Vergleich zu Tabakzigaretten die Konzentration wichtiger gesundheitsschädlicher Substanzen im Exhalat von E-Zigaretten bis zu 95% niedriger sei. Für Tabakrauchende, die nicht mit dem Rauchen aufhören könnten oder wollten, bedeute ein Umstieg auf E-Zigaretten somit eine Schadensminderung, so dass das Gesundheitsrisiko für viele tabakassoziierte Erkrankungen wie z. B. Krebs-, Herz-Kreislauf- und Atemwegserkrankungen deutlich sinke. Würden daher Raucher:innen vollständig auf E-Zigaretten umsteigen, würde sich daraus auch ein gesamtgesellschaftlicher Nutzen ergeben. Weiterhin wird argumentiert, dass E-Zigaretten Konsumierende bei dem Versuch, mit dem Rauchen aufzuhören, unterstützen könnten: Die Abstinenzraten lägen bei einem Wechsel auf E-Zigaretten im Vergleich zur Verwendung von Nikotinersatzpräparaten höher.
Schließlich kommt eine aktuelle Cochrane-Analyse nach Auswertung von sieben randomisierten Kontrollgruppenstudien, in denen nikotinhaltige E-Zigaretten mit einer Nikotinersatztherapie (NET) verglichen wurden, zu dem Ergebnis, dass bei Verwendung von E-Zigaretten von 100 Personen 4 mehr auf die Tabakzigarette verzichten als in der NET-Gruppe. Von insgesamt 351 Raucher:innen, die einen Rauchstopp geschafft haben, haben 232 die E-Zigarette und 119 NET genutzt.
Diese Ergebnisse haben bei genauerer Betrachtung jedoch nur einen geringen oder gar zweifelhaften Aussagewert: So werden im Hinblick auf die Schadstoffemissionen vor allem solche Stoffe verglichen, die typisch für eine Verbrennung von Tabak sind. Es liegt aber in der Natur der Sache, dass diese bei einer Erhitzung von Liquid in E-Zigaretten nicht oder in geringem Maße anfallen. Unerwähnt bleiben hingegen die den Liquids eigenen Inhaltsstoffe, die ein eigenes gesundheitliches Schadenspotenzial besitzen oder schlichtweg bislang noch nicht hinreichend untersucht werden konnten. Beispielhaft seien die unzähligen Aromastoffe genannt, die den Liquids hinzugefügt werden, um die Attraktivität von E-Zigaretten zu steigern (Positionspapier zum Aromenverbot in E-Zigaretten).
Auch bei näherer Betrachtung der angeblichen Entwöhnungserfolge mit E-Zigaretten in Therapiestudien stellt sich heraus, dass zwar in den Nachbetrachtungszeiträumen vorübergehend mehr Personen den Konsum von Tabakzigaretten aufgeben, ein größerer Anteil jedoch nikotinabhängig bleibt und / oder nach einiger Zeit zum Dual-Use übergeht, d.h. neben E-Produkten auch Tabakzigaretten konsumiert. Im Ergebnis sind sie damit entweder den Schadstoffen der E-Zigarette oder/ und zusätzlich auch noch denen der Tabakzigarette ausgesetzt, wodurch sich ihr Schadensrisiko nachweislich deutlich erhöht.
Nach unserem Verständnis ist es zudem unseriös, ein Public-Health-Problem anhand von Ergebnissen sogenannter kontrollierter Studien zu vergleichen, wird in diesen doch nicht der Nutzen der Entwöhnungen dem Schaden durch Neueinstieg aufgrund der freien Verfügbarkeit des eingesetzten Mittels gegenübergestellt. In randomisiert kontrollierten Arzneimittelstudien hingegen sind die eingesetzten Medikamente nicht frei verfügbar und somit tatsächlich kontrolliert. So werden zur „Harm Reduction“ bei Opiatabhängigen streng kontrollierte Betäubungsmittel als Substitut eingesetzt. Man stelle sich vor, diese könnten – analog zu E-Zigaretten - an jeder Ladentheke auch als bunte Bonbons erworben werden.
Schließlich zeigen die ansteigenden Prävalenzzahlen des E-Zigarettenkonsums unter Jugendlichen und Heranwachsenden (Präventionsradar, DEBRA, BZgA), dass in Public Health Perspektive E-Zigaretten das Gesundheitsrisiko nicht verringern, sondern perspektivisch deutlich erhöhen.
Fazit
Eine Tabakentwöhnung durch E-Zigaretten wäre nur dann zu diskutieren, wenn a) deren behauptete geringere Schädlichkeit auch durch Langzeitbeobachtungen gesichert wäre, und b) diese für ihren Einsatz in der Tabakentwöhnung zunächst ein Zulassungsverfahren für Medizinprodukte durchlaufen hätten, um in der Folge bei stark abhängigen Tabakrauchenden auf ärztliches Rezept verordnet werden zu können.
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